Es gibt im Pro Wrestling ein Phänomen, das ich als das Ultimate Warrior Paradoxon bezeichne.
Nur für die Jüngeren unter euch: der Ultimate Warrior war in den späten 1980er bis Mitte der 1990er äußerst populärer Wrestler. Dargestellt wurde er vom ehemaligen Bodybuilder Jim Hellwig, wobei dargestellt das falsche Wort ist: Jim Hellwig WAR der Warrior.
Fragt man einen Wrestling-Experten oder die Mehrzahl seiner Kollegen aus damaliger Zeit, dann wird das Bild eines Akteurs gezeichnet, der keinen blassen Schimmer vom Geschäft hatte. Das Musterbeispiel eines Anti-Wrestlers, der es nur in den Main Event geschaffte hatte, weil er so unglaublich gut aussah.
Er startete zeitgleich mit einem gewissen Steve Borden, den man heute als die Wrestling-Ikone Sting kennt. Als blutige Anfänger in der CWA und später UWF hatten sie in gemeinsamen Tag Teams nur mäßigen Erfolg. Selbst in der in Dallas beheimateten Promotion WCCW (wo sein Aufstieg zum Star begann) arbeitete er zu Beginn für 50 $ den Tag.
Seine Glanzzeit hatte er in der von Vince McMahon geführten WWF. McMahon war dafür bekannt, mehr auf Aussehen und Wirkung seiner Wrestler zu setzen, als auf Fähigkeiten im Ring. Sports Entertainment eben. Bodybuilder und Freaks bevölkerten seinen Kader und Warrior erfüllte diese Anforderungen perfekt. Seine Erscheinung, sein Körperbau – unglaublich. Zudem hatte Vince McMahon ein Talent dafür, Wrestler mit Unterhaltungspotential von anderen Promotions abzuwerben und aus ihnen Megastars zu machen, während sie zuvor ein Mauerblümchen-Dasein fristeten. Meistens gelang ihm das bei denen, die weniger Sports dafür umso mehr Entertainment waren. Alles war grell überzeichnet und in vielen Fällen peinlich, aber es funktionierte. Hellwig hatte leider nie das Wrestling gelernt, er soll es sogar gehasst haben. Auch weigerte er sich beharrlich, dazuzulernen (refused to learn how to work). Die In-Ring-Arbeit mit ihm wurde als anstrengend und schmerzhaft beschrieben. Unter Kollegen galt sein Stil als „stiff“. Seine Promos waren zwar herrlich energetisch und wild, aber man stellte die Ohren besser auf Durchzug. Denn das was er sagte und wie er es sagte befand sich meistens auf Kleinkindniveau. Ein klassisches Warrior Match dauerte im Schnitt 5 Minuten, wovon 4 Minuten auf seinen Einmarsch und seine Hampeleien im Ring entfielen. Das war auch besser so, denn schon nach wenigen Wrestling-Moves ging ihm regelmäßig die Puste aus. Eigentlich merkwürdig, denn so viele zeigte er gar nicht. Sein übersichtliches Portfolio ließ John Cena wie einen wiedergeborenen Lou Thesz erscheinen. An was erinnert man sich beim Warrior? Sicherlich an das Rütteln an den Ringseilen, Shoulder Tackle, Clothline, Gorillapress, Frog Splash gefolgt vom Cover. Zu 90 Prozent in der Reihenfolge.
Und wenn ihr das alles lest und dazu in den Tiefen des Internets recherchiert, mögt ihr jetzt sicher denken, dass so ein Anti-Wrestler – den die Fachwelt verachtete wie keinen zweiten – nie und nimmer Erfolg gehabt haben kann (selbst wenn ich in meiner Beschreibung einen Hauch übertreiben sollte) – falsch gedacht!
Das Maß seiner Verehrung stand diametral zu seinem Können, denn trotz seiner beschränkten Fähigkeiten liebte ihn das Publikum abgöttisch. Je jünger das Publikum, desto größer die Verehrung. Egal wie schlecht seine Matches, wie albern seine Promos waren – der Mann schaffte es immer, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen. Ertönte seine Einzugsmusik – die wie Arsch auf Eimer passte – hielt es niemanden auf den Beinen. Der Mann lebte sein Gimmick und die Leute spürten es und reagierten entsprechend auf ihn. Der Mann war „the most eletrifying man in sports entertainment“ 10 Jahre bevor The Rock auf der Bildfläche erschien.
Ich würde gern mal wissen, wieviel die damalige WWF durch den Verkauf von Merchandise Artikeln mit ihm verdient hat.
Der Ultimate Warrior ist das mit Abstand beste Beispiel, wie extrem die Wahrnehmung und Bewertung ein und derselben Person auseinanderliegen kann. Auf der einen Seite die Fachwelt, die diesen Cartoon-Darsteller in Grund und Boden geschrieben hat und auf der anderen Seite das Publikum, dass seinen Helden umso mehr geliebt hat.
Daher werde ich ab jetzt bei jedem Fall einer solchen Diskrepanz in der Wahrnehmung vom Ultimate Warrior Paradoxon sprechen.