In den letzten Tagen, Wochen und Monaten kam es bei WWE zu Massenentlassungen, die nicht nur den Wrestlingkader betrafen.
Dass immer wieder rotiert wird, ist nichts Ungewöhnliches. Langjährige Performer erhalten eine Pause zur Auffrischung und neue, unverbrauchte Talente rücken nach. Soweit nichts Außergewöhnliches. Die Entlassungen der letzten Zeit sind aber schon insofern bemerkenswert, als dass sie keine Undercarder betreffen, sondern durchaus Wrestler aus dem Main Event bzw. Akteure, die derzeit aktiv eingesetzt wurden oder Teil eines laufenden Fehdenprogramms waren.
Gut, bei Samoa Joe könnte man noch streiten. Ich würde ihn zwar auch viel lieber im Ring sehen, aber sein Austausch durch Pat McAfee als colour commentator ist schon ein wenig unverständlich gewesen. Nichts gegen Pat McAfee, aber der hatte doch eigentlich in seiner Rolle als Manager bei NXT überzeugt. Auch bei Mickie James könnte man noch anführen, dass aufgrund ihres Alters und ihrer gestiegenen Anfälligkeit für Verletzungen die Belastbarkeit in einem aktiven In-Ring-Programm nicht mehr gegeben ist. Weshalb dann aber eine erwiesene Nicht-Wrestlerin wie Eva Marie wiedergeholt wird, weiß nur Vince McMahon persönlich. Auch in Ruby Riott scheint man kein Potential mehr zu sehen und reißt mit ihrer Entlassung eine doch sichtbare Lücke, da sie zusammen mit Liv Morgan sichtbarer Bestandteil der Womens Division war. Bei Lana war es nur konsequent, ist ihr Ehemann im wahren Leben, Rusev, nun schon länger ein fester Bestandteil beim Konkurrenten AEW. (Buddy) Murphy hatte viel Potential, bis man ihn in diese Rey Mysterio – Seth Rollins Fehde warf. Nun hätte er neu durchstarten können, denn er bringt alles mit, was es braucht. Aber nein, auch in seinem Fall war nun Schluss mit WWE.
Auch Andrade wollte wohl einfach nur sein Wrestling im Ring zeigen, doch WWE musste ihn mit irgendwelchen Scheiss-Gimmicks verbooken.
Der Umgang mit einer Legende wie Mark Henry war beschämend. Nicht verwunderlich, dass wir ihn bei AEW wiedersehen. Dort, wo es sich Big Show längst gemütlich gemacht hat.
Sei es wie es sei: bei Daniel Bryan erschließt sich mir die ausbleibende Vertragsverlängerung überhaupt nicht. Es sei denn, es war Bryans eigener Wunsch. Ich habe das ja schon in einem eigenen Artikel besprochen.
Bei Aleister Black ist es noch merkwürdiger, da er ja erst wieder zurückgeholt wurde und nach 14 Tagen und vorbereitenden Promos wieder gegangen wurde.
Die mit Abstand größte Konfusion erzeugt bei mir aber die „Entlassung“ von Braun Strowman. Das Monster unter Menschen war vor nicht einem Jahr Universal Champion! Die Fans fahren auf ihn ab und er ist der letzte wirkliche Riese bei WWE (sehen wir mal von Omos ab). Man kann mir doch nicht sagen, dass der Mann nicht für entsprechende Merchandiseverkäufe sorgt, die sein angebliches Gehalt von 1.2 Millionen US Dollar rechtfertigen. Das ist natürlich alles nur Hören-Sagen und wenn er tatsächlich ein Gehalt dieser Größenordnung verdient, wäre das in meinen Augen etwas zuviel – wenn man sieht, was er aus seinen Möglichkeiten macht. Andererseits schießt sich da WWE ins eigene Bein und schiebt eine dicke Portion Doppelmoral vor sich her. Wer steckt ihn denn in peinliche Fehden mit Shane McMahon, wo er mit grünem Schleim übergossen wird und unglaubwürdige Promos halten muss? Dass WWE aufgrund der Corona-Pandemie an allen Ecken und Enden sparen muss und deshalb Schwerverdiener wie Strowman entlässt, ist genauso vorgeschoben. Strowmans Vertrag ist garantiert nicht die Spitze des Eisberges (Hallo Randy Orton!) und ein Gehaltsverzicht wurde offensichtlich nicht einmal diskutiert.
Jetzt äußern nicht wenige Experten und Branchenkenner den Verdacht, dass sich WWE finanziell gesundschrumpft, um die Promotion in einem Top-Zustand zum Verkauf anzubieten. Man hat gemerkt, dass das Programm auch mit einem deutlich verschlankten am Laufen gehalten werden kann, weshalb wir in den letzten Monaten mit den immer gleichen Konstellationen genervt wurden. So wenig ich glauben mag, dass Vince McMahon „seine“ Promotion komplett verkauft, statt sie an seine Kinder zu vererben, so sehr deuten aber die Anzeichen auf so ein Vorhaben hin. Vielleicht ist Vince müde geworden, vielleicht scheut er die Auseinandersetzung mit dem größten Konkurrenten AEW. Wenn das so wäre, wiederholt sich hier das Geschehen von vor 30, 40 Jahren als er als Erstes Verne Gagne und dessen Promotion AWA aus dem Geschäft drängte? Ich will hier keine-was-kam-zuerst Debatte führen, aber Fakt ist, dass die AWA der erste große Baustein des Territoriensystems war, der fiel. Verne hätte die Auseinandersetzung durchaus suchen, den Kampf aufnehmen können – wenn er 20, 30 Jahre jünger gewesen wäre. McMahons Vorteil im damaligen Machtkampf war sein „jugendliches“ Alter und seine Energie. Gagne, Owens, Watts, von Erich oder auch Crockett waren nicht mehr bereit oder in der Lage, dem selbsternannten Walt Disney des Wrestling Paroli zu bieten.
Also wenn die Konsolidierung dem Zweck dient, World Wrestling Entertainment zu verkaufen – dann müssten wir bald etwas aus dieser Richtung hören. Mittlerweile werden ja wieder Live-Shows vor realem Publikum beworben und abgesehen von einigen zufriedenstellenden Ticketverkäufen ist bei anderen Shows (vor allem in den als wichtig erachteten Regionen) die Luft irgendwie raus. Die Fans rennen WWE nicht wie erwartet die Bude ein. Diese Aussichten würden den guten und finanziell gesunden Eindruck von WWE als Verkaufsobjekt dann schon trüben und den Verkaufserlös drücken.
Denn nicht alles lässt sich auf die Corona-Pandemie schieben. Das stetig gefallene Interesse an Pro-Wrestling war auch schon lange vor Corona ein Problem und hängt eher mit zweifelhaften Entscheidungen, was Wrestling eigentlich sein und wie es nach Außen verkauft werden soll, zusammen.
Natürlich wäre die Verlockung für AEW, New Japan oder auch MLW groß, sich beim großen Talente-Ausverkauf zu bedienen. Leisten kann sich das aber nur All Elite Wrestling, auch wenn die Neuankömmlinge sicher Abzüge in der Gage akzeptieren müssen. Die Wrestlingwelt ist eben übersichtlich geworden. Aber gerade bei All Elite Wrestling sieht man jetzt schon nicht mehr durch, wer gegen wen und warum. Einige der WWE Abgänge passen auch überhaupt nicht zur Tony Khan Promotion und ihrer derzeitigen Ausrichtung. Abgesehen von ein paar Fleischbergen laufen dort meistens halbe Kinder herum und springen mit 3 Umdrehungen von den Seilen. Wie soll man da zum Beispiel einen Braun Strowman positionieren?