Den Absprung nicht geschafft – Beispiel Natylia

Ich habe erst kürzlich auf Instagram zwei Photos (als Teil einer Serie) gesehen, die mich letztlich zu diesem Artikel geführt haben. Abgebildet war in beiden Fällen Natalie Katherine Neidhart-Wilson – dem WWE Fan einfach als Natalya ein Begriff. Natalya war auf einem Photo in (sehr) jungen Jahren zusammen mit Chris Benoit zu sehen und auf dem anderen Bild posierte sie mit dem Sohn von Chris Benoit. (Die tragische Geschichte um den Fall Benoit lassen wir für dieses Mal außen vor.)

Natalya hat wegen ihrer Abstammung aus einer der wichtigsten Familien im Pro Wrestling bereits sehr früh den Weg in den Ring gefunden. Vater Jim „the Anvil“ Neidhart und Onkel Bret Hart bildeten mit der Hart Foundation ein sehr erfolgreiches Tag Team der 1980er Jahre. Mit seinem 1999 verstorbenen Bruder Owen Hart lieferte sich Bret Hart aufsehenerregende Schlachten und Übervater Stu Hart begründete die Promotion Stampede Wrestling from Calgary und bildete in seinem gefürchteten, oft mythisch verklärtem „Hart Dungeon“ Generation erfolgreicher Wrestler aus. So zum Beispiel auch seine Enkelin Natalya, die bis dato die erste Frau war, die im Dungeon trainieren durfte. Vieles davon kann man heute noch in ihren Ringaktionen sehen. Die verstärkte Anwendung von Aufgabegriffen, das Variieren der Pace, das Gefühl für den richtigen Spot zur richtigen Zeit, Timing etc.
Es gibt ja Leute, die finden den Stil von Stu Hart altbacken und unaufregend, andere schwärmen auch heute noch von der Schnörkellosigkeit eines Bret Hart.

Nach ersten Gehversuchen in der Hart eigenen Liga unterschrieb sie 2007 einen Entwicklungsvertrag bei WWE und tingelte dann erst einmal durch die Entwicklungsligen DSW, OVW und FCW. Aber bereits im Frühjahr 2008 durfte sie auf die große Bühne und Teil der Hauptshows bei WWE werden.
Seitdem ist sie ununterbrochen entweder bei SmackDown oder RAW zu sehen, hat einige Titel gewonnen (aber nie mit langer Regentschaft) und ist bei den Fans akzeptiert und beliebt. Derzeit bildet sie mit der Tochter einer anderen Legende, Tamina Snuka, ein Tag Team und hält auch die Womens Tag Team Championship.

Inklusive ihrer Zeit in den Entwicklungsligen von WWE ist sie nun 14 Jahre Bestandteil dieser Wrestling-Promotion. Hier in Deutschland hätte man da schon fast das Anrecht auf eine Dauerstelle.
Obwohl sie nie der große Star bei WWE war und auch nicht mehr werden wird, ist sie eine verlässliche Veteranin im Ring und wird oft dazu eingesetzt, ein aufstrebendes aber noch recht unerfahrenes Talent zu pushen oder im Ring anzuleiten. Man sieht es den Matches an, wenn die Chemie nicht stimmt. Dann wirkt das Match nicht flüssig und die Aktionen nicht gut getimed. Als guter Wrestler tut man sich schwer, auf das Niveau eines schlechteren Gegners hinabzusteigen bzw. sich den technische Limitierungen anzupassen. Vor allem, wenn das eine Erhöhung des Risikos bedeutet.
Ihr Gimmick habe ich über all die Jahre nicht wirklich verstanden.
Sie ist unglaublich hübsch, im Ring begabt – Promo ist eher so … – und kann gute Matches haben, aber eingesetzt wird sie stets wie ein Midcarder. Kategorie Aufbaugegner und manchmal sogar Edeljobber. Wie hier in einem kürzlich stattgefundenem Kampf gegen Champion Rhea Ripley.
Ist sie ein Babyface, dann verlaufen diese Phasen eher dröge, ist sie ein Heel – dann geht WWE nicht all in mit ihr. Aus Angst vor dem großen Namen? Der kürzlich verstorbene Paul Orndorff meinte, er war lieber ein Heel, weil Heels sich alles erlauben können. Natalyas Versuche, im Ring heelish rüberzukommen, schließen richtig unfaire Aktionen aus. Wenn sie doch mal kommen, werden sie wenig glaubhaft vorgetragen.

Warum Natalya nie ein Star war und es auch nicht mehr wird?

Die Antwort auf diese Frage liegt im derzeitigen Status des Pro Wrestling begründet. 14 Jahre WWE, das muss man sich mal vorstellen. Das ist vergleichbar mit Helmut Kohls Kanzlerschaft (und demnächst Frau Merkels). Wieviel musst Du unternehmen, um auch im Jahr 15 noch interessant zu wirken? Dem Publikum etwas bieten, was es von Dir noch nicht gesehen hat? Selbst Undertaker und Kane hatten ihre Pausen, teilweisen Gimmickwechsel oder einfach Aufs und Abs. Nur Bruno Sammartino bleibt ein Phänomen, obwohl ich denke, dass das heute auch ein anderer Schnack wäre.

In den good old days of wrestling gab es das Territoriensystem. Wenn dein Run mit einem Titel oder deine erfolgreiche Fehde gegen xyz beendet war, hast du dich zurückgezogen und bist erst einmal bei einem anderen Promoter untergekommen (es sei denn, du warst der Star deiner jeweiligen Promotion). Da warst du dann natürlich frisch und unverbraucht, weil Internet gab es noch nicht und Wrestling im TV war in erster Linie eine lokale Angelegenheit. Du konntest wieder durchstarten, es warteten neue Gegner, neue Fehden, neue Fans. Das hat insgesamt gut funktioniert, denn jeder im Geschäft wusste um die Abnutzungen eines Charakters und um die Wichtigkeit einer kleinen Auszeit. Einen Sinn fürs Geschäft haben, bedeutet eben auch, Gesetzmäßigkeiten anzuerkennen.
Aber heute? Wohin sollte denn eine Natalya Neidhart oder auch ein The Miz (noch einer, der bereits eine Inventarnummer eingraviert haben dürfte) gehen? Der Wechsel zu AEW wäre ihr letzter. New Japan? Nicht wirklich. Und die anderen Kleinstligen dürften bei weitem nicht das zahlen, was WWE zahlt.
Leider ist es auch nicht mehr so wie früher, dass es eine Vielzahl von gut ausgebildeten Wrestlern gibt, die dann einfach nachrücken und deinen Platz ausfüllen. Im Gegenteil, WWE lässt eine Entlassungswelle der anderen folgen und versucht, mit einer Minimalbesatzung die Shows aufrecht zu erhalten. Mit dem Ergebnis, dass wir dieselben Fehden mit denselben beteiligten Akteuren in immer kürzer werdenden Abständen nochmal serviert bekommen. Fehdenprogramme oder Gimmicks werden nicht mehr entwickelt, es bahnt sich nichts mehr an – alles geschieht grundlos und urplötzlich. Genauso wie Handlungsstränge beendet werden. Ich verweise nur auf den Fall Aleister Black.
Das alles führt dazu, dass es zwar schön für Natalya (und so einige andere) ist, dass sie immer noch mitwirkt, aber für den Zuschauer ist die Luft raus, der Reiz verflogen. Wir haben das Gefühl, alles von ihr gesehen zu haben. Die größte Reaktion in der letzten Zeit erhielt sie nicht aufgrund einer Ringaktion sondern als Beileidsbekundung zum Tod ihres Vaters. Irgendwann ist alles nur noch Routine. Der hüftbetonte Einmarsch, die Offensive im Ring, der Sharpshooter. Irgendwie haftet dem nur noch der Geschmack eines Pausenfüllers an. Und das ist nicht mal unbedingt ihre Schuld.

Wie kommt man da jetzt heraus?
Warten wir jetzt einfach auf die Rückkehr der Wrestling-Territorien und Gegenspieler zu WWE?!
Sicher nicht – auch wenn diese Vorstellung etwas Paradiesisches hätte.
Es wäre ein Anfang, wenn sich bei WWE herauskristallisieren würde, wohin die Reise überhaupt geht. Verkauft Vince sein Unternehmen? Bleibt es in der Hand der Familie? Geht man von diesem Kurs der zwanghaften ökonomischen Optimierung ab? Stellt wieder mehr Wrestler ein oder kooperiert mit anderen Promotions? Bis jetzt heißt Kooperieren für WWE nur: nimm den Wrestler unter Vertrag. Wenn das Interesse an einem Wrestler wie Natalya nachlässt und sie für eine gewisse Zeit bei AEW anheuert, um dann irgendwann mit neuem Gimmick oder einfach neuer Attitüde zurückzukehren – das wäre schon eine große Verbesserung. Aber ehemalige Athleten, die es wagen, bei All Elite Wrestling anzuheuern, werden von Vince wie Aussätzige ohne Rückfahrschein behandelt. So kann das nichts werden.
Selbst wenn man nicht gewillt ist, daran etwas zu ändern, sind Verbesserungen auch aus WWE heraus zu erreichen. Es wird Zeit, endlich wieder Booker oder Schreiber einzustellen, die Ahnung vom Geschäft haben. Also dem Geschäft. Kein Face- oder Heelturn aus dem Nichts heraus. Kein Nonsense wie Augapfel-rausreiß-Gimmick-Matches, kein Hinterherlaufen von Trends und Moden (damit wäre uns The Fiend und vor allem Alexa Bliss‘ Puppenscheisse erspart geblieben). Dafür glaubwürdige Storylines und genügend Zeit für die Akteure, diese zu vermitteln. Heute bildet Nattie mit Tamina ein Tag Team, das kann bei WWE morgen schon wieder ganz anderes sein. Somit füllt man zwar Zeit aus, genau wie bei The Miz derzeitigem Rollstuhl-Sketch aber die Nachhaltigkeit geht gegen Null. Es sind nur Revue- oder Slapsticknummern, die aneinandergereiht werden.

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